Wolodymyr Baluch hat seiner pro-ukrainischen Position auf der besetzten Krim systematisch und beharrlich Ausdruck verliehen. Ab Dezember 2013 wehte eine ukrainische Flagge über seinem Innenhof, die zweimal durch Beamte des FSB abgenommen wurde. Im November 2016 brachte er ein Schild mit der Aufschrift Straße der Helden der Himmlischen Hundert 18 an seinem Haus an. Auch diese Aktion erregte die Gemüter der Besatzer.
Wolodymyr wurde für seine patriotische pro-ukrainische Position durch den FSB verfolgt. Man beschuldigte ihn dreier erfundener Straftaten – unerlaubter Waffenbesitz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und “Behinderung in einer Gewahrsamseinrichtung”. Seine Gesamtstrafe summierte sich auf fünf Jahre Arbeitslager.
Während er seine Strafe im Lager verbüßte, tat Wolodymyr Baluch alles in seiner Macht stehende, um Aufmerksamkeit für die Rechte der ukrainischen politischen Gefangenen in russischen Gefängnissen zu erzeugen. Er startete mehrere Hungerstreiks, die zusammengenommen mehr als 200 Tage dauerten.
Am 7. September 2019 ist Wolodymyr im Rahmen eines Gefangenenaustausches in die Ukraine zurückgekehrt. Seither engagiert er sich für die Verteidigung der Menschenrechte.
Für das Projekt #PrisonersVoice haben wir mit Wolodymyr über seine Beziehung zu den Besatzungsbehörden auf der Krim und über die Dringlichkeit der Unterstützung sowohl der ukrainischen politischen Gefangenen in Russland, als auch der ukrainischen Soldaten im Donbass gesprochen.
Warum engagierst du dich für #PrisonersVoice? Weshalb sind solche Projekte deiner Meinung nach wichtig?
Der öffentliche Raum sollte mit Informationen bespielt werden, die die Herzen der Menschen erreichen, und nicht bloß mit Fakten. Unsere Freilassung, und davon bin ich überzeugt, wurde nur dadurch möglich, dass die Gedanken vieler sich zu einem starken Willen vereinigten, so pathetisch das auch klingen mag. Deshalb müssen wir die Herzen der Menschen durch Geschichten erreichen, durch Emotionen, sodass sie in ihrer alltäglichen Routine daran erinnert werden, dass der Ausgang des Weltgeschehens davon abhängig ist, wie sich der Einzelne positioniert. Wenn du deinen Nächsten mit Respekt und Hilfsbereitschaft begegnest, dann wird die Welt um dich herum dieses Verhalten reflektieren.
Es ist außerdem wichtig, dass die internationale Gemeinschaft in Kenntnis gesetzt wird. Apps wie #PrisonersVoice sind dabei sehr hilfreich. Sie verfügt über eine englische Version, über Bilder und Animationen. Die Menschen leben heutzutage in Bildern, ob gut oder schlecht, es ist einfach so. Findet jemand einen Weg, um auf diese Weise wichtige Informationen zu vermitteln, dann ist das wunderbar.
Auch du unterstützt deine Mitmenschen. Unter anderem hast du vor Kurzem Switlodarsk besucht. Warst du noch an anderen Orten entlang der Front? Weshalb sind dir diese Besuche wichtig und weshalb brauchen unsere Soldaten sie?
Zunächst möchte ich den Menschen danken, die meine Besuche dort möglich gemacht haben, meine guten Freunde, Gefährten, die Menschen, die mich kennen. Ich war nie zuvor dort gewesen, und alleine hätte ich diesen Besuch nicht organisiert bekommen. Das war eine sehr eindrückliche Erfahrung für mich, für mein eigenes Selbstverständnis. Und wie sich herausstellte, war es auch für die Soldatinnen und Soldaten nötig. Diese Erfahrungen waren gewissermaßen sinnbildlich. Ich habe einige Menschen von unerschütterlicher Integrität kennengelernt.
Auch du hast Integrität und Patriotismus bewiesen, als du 2016 ein Adressschild mit der Aufschrift Straße der Helden der Himmlischen Hundertschaft 18 an deiner Fassade angebracht hast. War dir zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst, dass es die Aufmerksamkeit der Besatzungsbehörden erregen könnte? Hättest du für diese Form des Protests derartige Konsequenzen erwartet?
Tatsächlich ist es völlig irrelevant, was ich erwartet hätte, und was nicht. Ich hätte gar nicht anders gekonnt. “Wenn eine heroische Tat möglich ist, muss jeder für sich selbst entscheiden” (Zitat). Ich hätte gar nicht anders gekonnt, denn mir war klar, dass ich das absolut Böse bekämpfte, das heißt die Kreml-Föderation in ihrer gegenwärtigen Form. Dem absolut Bösen nachzugeben, bedeutet, sein Leben zu verlängern.
Deswegen versetzt mich das, was derzeit in der Ukraine passiert, in Unruhe, all diese Angebote “sich in der Mitte zu treffen”. Es ist gefährlich, und am allerwichtigsten ist, dass es kriminell ist. Es ist kriminell, nicht in Bezug auf den Staat oder auf mich oder auf die politischen Gefangenen, sondern in Bezug auf die Zukunft der Ukraine, gegenüber denen, denen wir dieses Land hinterlassen werden.
Wer hat dich nach deiner Verurteilung unterstützt? Wie hast du diese Unterstützung erlebt?
Es war beeindruckend zu realisieren, dass all diese Menschen zur Gerichtsverhandlung erschienen sind, vor dem Gebäude ausharrten, als der Prozess für die Öffentlichkeit gesperrt wurde. Wenn Leute deine Mutter mit Geld, selbstgestrickten Socken, Zigaretten unterstützen, dann macht das das Leben erträglich. Manchmal suchst du nach einem Sinn im Leben, und es fällt dir schwer, ihn zu begreifen. Aber wenn du dann verstehst, dass das, was dir da gerade passiert, notwendig ist, und dass die Menschen dein Los mit dir teilen, dann beginnst du den Sinn zu sehen.
Die Mehrheit derjenigen, die mich unterstützt haben, die zu den Gerichtsverhandlungen kamen, mussten alles zurücklassen und waren gezwungen auf das ukrainische Festland zu ziehen. Ich stehe nach wie vor mit ihnen in Kontakt.
135 ukrainische Bürgerinnen und Bürger sitzen nach wie vor in den Kerkern des Kremls
Aktuell werden 135 ukrainische Bürgerinnen und Bürger durch die Russische Föderation in politischen Prozessen angeklagt. Dies berichtet das Büro von Ljudmyla Denisova, Parlamentarische Kommissarin für Menschenrechte. Einiger dieser Menschen werden daran gehindert, die Krim in Richtung der ukrainisch-kontrollierten Gebiete zu verlassen.
Die Gefangenen werden unter widrigen Umständen festgehalten. So wurde der politische Gefangene Emir-Usein Kuku nach seiner rechtswidrigen Verurteilung zu zwölf Jahren Gefängnis gleich nach seiner Ankunft in der Strafkolonie Salawat in Baschkortostan in eine Strafzelle verbracht. Nach Angaben seiner Ehefrau Meriem Kuku ist der Grund dafür die Bitte ihres Ehemannes um eine Genehmigung, morgendliche Körperübungen abhalten zu dürfen, um gesundheitlichen Problemen und dem kalten Wetter entgegenzuwirken.
In derselben Strafkolonie sind auch weitere Krimtataren, die rechtswidrig von russischen Gerichten verurteilt wurden, unter sehr schlechten Bedingungen untergebracht. Dabei handelt es sich um Enver Seitosmanow, Useir Abdulljajew, Emil Dschemadenow, Refat Alimow und Arsen Dschepparow.
Die Ukraine versucht die Angehörigen der rechtswidrig internierten Personen und bereits entlassenen Ukrainerinnen und Ukrainer zu unterstützen. Unter anderem hat das Ministerkabinett der Ukraine jüngst entschieden, jeweils 100.000 Hrywna an zehn Familien von in der Russischen Föderation aus politischen Gründen inhaftierten Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine und an 18 bereits entlassene Personen zu zahlen.
Autorin: Tetjana Matytschak
Anmerkung: Die Augmented-Reality-App #PrisonersVoice wird im Rahmen eines Projekts von CSO Internews-Ukraine mit Unterstützung der Ukrainischen Kulturstiftung und in Kooperation mit dem Center for Civil Liberties und anderen Partnern entwickelt. Das Projekt ist Teil der globalen Kampagne #PrisonersVoice, die sich zum Ziel setzt, die Weltgemeinschaft auf die ukrainischen politischen Gefangenen aufmerksam zu machen, die nach wie vor in russischen Gefängnissen gehalten werden, sowie für die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen der Russischen Föderation.
Die Position der Ukrainischen Kulturstiftung stimmt nicht notwendigerweise mit der Meinung der Autorin überein.
Quelle: Ukraine verstehen.